Oskar Schlemmer und Steiner

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Ein Bauhausmeister besucht Dornach 

Eine Notiz von Wolfgang G. Vögele –
Er nannte sich selbst einen grossen "Idealisten der Form". Der Maler und Bauhausmeister Oskar Schlemmer (1888-1943) sah im Menschen eine geheimnisvolle Geometrie walten, deren Erforschung ihm zeitlebens ein Herzensanliegen war. In seinem Schaffen finden sich vielfach Parallelen zur Anthroposophie: In der Dreiteilung Geist-Seele-Leib, in seinem Lieblingsthema "Die menschliche Gestalt als Mittelpunkt eines kosmischen Koordinatensystems" oder in seinen Bemühungen um eine neue Bewegungskunst (das „Triadische Ballett“). Der Goethe- und Bruckner-Verehrer Schlemmer erlebt als Kriegsfreiwilliger unerklärliche Zufälle, philosophiert 1915 über den Unterschied zwischen Buddha und Christus und interessiert sich für Astrologie. Er liest (wie viele seiner Bauhauskollegen) auch anthroposophische Literatur.

Spätestens seit den Ausstellungen "Okkultismus und Avantgarde" (Frankfurt a. M.,1995) oder "Das Bauhaus und die Esoterik" (2005/06 in Hamm) wissen wir mehr über den Einfluss von Theosophie und Anthroposophie auf die Kunst der Moderne, die keineswegs nur einem rationalen Konstruktivismus folgte. Die künstlerischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts waren offen für zeitgenössische Spiritualität aller möglicher Richtungen. Das galt auch für die Anfangsjahre des 1919 in Weimar gegründeten Bauhauses, dessen Leiter Walter Gropius eine Utopie vom "neuen Menschen" popagierte. Die meisten der dort tätigen Künstler wurden von einer Aufbruchstimmung geleitet und glaubten an eine Zeitenwende. Viele Weltanschaungen und Religionen "waren auch Tagesgespräch am Bauhaus: Theosophie aller Richtungen, Anthroposophie, Neu-Buddhismus, Swedenborg, Mazdaznan." 1. Dass Oskar Schlemmer die Gelegenheit wahrnahm, das erste und zweite Goetheanum zu sehen, ist weniger bekannt.

Noch während des Ersten Weltkriegs schliesst sich Schlemmer in seiner Heimatstadt Stuttgart einem Zirkel avantgardistischer Künstler und Schriftsteller an, dem sogenannten Hix-Kreis, dem auch sein Freund Willi Baumeister angehört. Hier macht er die Bekanntschaft des jungen Schweizer Anthroposophen Willy Storrer, der damals als Redakteur beim "Stuttgarter Neuen Tagblatt" beschäftigt war. Storrer sollte sich zehn Jahre später als Herausgeber der anthroposophischen Zeitschrift "Individualität" einen Namen machen. 2. Zwischen beiden entwickelt sich eine Freundschaft, in der auch lange Gespräche über Anthroposophie eine Rolle spielen. Storrer übersendet die "Waldorf-Nachrichten" mit Fotos von ersten Goetheanum und Schriften Rudolf Steiners. Schlemmer wünscht in einem Brief vom 17. Februar 1920 an Storrer, einmal das Goetheanum zu besichtigen. Der Wunsch geht in Erfüllung: Im Mai 1920 hält sich Schlemmer mit seiner Frau in Dornach auf, wo er auch einen Vortrag Steiners gehört haben soll.

Oskar Schlemmer war 1919 als Dozent an das Bauhaus berufen worden. Zu den regelmäßig stattfindenden "Bauhaus-Abenden" wurden externe Gastredner eingeladen, darunter 1920 auch einmal Rudolf Steiner. 3. Auch wenn dieser nicht persönlich ins Bauhaus kommen konnte, war doch sein Einfluss indirekt spürbar. Die Bauhausmeister Itten, Klee und Kandinsky kannten Steiners Werke und hatten zum Teil schon Vorträge von ihm besucht. Der 1921-1923 amtierende Bauhaus-Sekretär Erwin Ratz (der sich als Schönbergschüler und Musikwissenschaftler Verdienste erwarb) trat später der Anthroposophischen Gesellschaft bei. 4.

Oskar Schlemmer interessierte sich auch für Schriftsteller wie Oswald Spengler oder Graf Hermann Keyserling, dessen Schüler zu werden ihn eine Zeitlang verlockte. Er notiert am 25. Juni 1923 in sein Tagebuch: "Wechsel von abstrakten zu nicht abstrakten Bildmitteln ist fast zum Zeitsymptom, auch hier am Bauhaus, geworden […] Die neuen technischen Mittel als künstlerische Ausdrucksmittel. Heute faszinieren mich diese Möglichkeiten. Ist Ölfarbe für den Maler, der Marmor für den Bildhauer das ein für allemal gegebene Material? Unbeachtet 'neuzeitlicher technischer Errungenschaften'! Ändern Film, Flugzeuge, Elektrizität nichts an der Endgültigkeit jener Mittel? Würde ein van Eyck von heute wiederum die Ölfarbe entdecken? Phidias wieder zum Marmor greifen? Ein Keyserling-Satz fällt mir ein: Vollendung sei nur im Rahmen vertrauter Vorstellung möglich (in religiöser Beziehung gemeint). Ist es dies etwa? Ein Katholik kann heute noch selig werden, trotz Aufklärung und Steiner. Ein Ölmaler Künstler sein, trotz Film und phosphoreszierender Farben. Aber ein Scheideweg für die Heutigen scheint auch hier zu sein, ähnlich dem 'abstrakt' und 'nicht abstrakt'. Die einen suchen die neuen Möglichkeiten um ihrer Neuheit willen, weil sie vermeintlich neue Ideen zeugen, die andern, die gegebenen Möglichkeiten zu erfüllen […]." 5.

Gemeinsam mit dem Dirigenten und Musiktheoretiker Hermann Scherchen, der einige Zeit als Bauhaus-Sekretär bei Walter Gropius gearbeitet hatte, entwarf Schlemmer 1927 eine "Musik-Tanz-Zahlentheorie". Im gleichen Jahr las er Steiners Vorträge "Wege zu einem neuen Baustil". Als er 1928 im Bauhaus Unterricht zum Thema "Mensch" erteilt, benutzt er nach eigener Aussage zur Vorbereitung auch anthroposophische Schriften, die ihm Storrer geschickt hatte.

Sowohl Schlemmer als auch Scherchen – beides wichtige Künstler des 20. Jahrhunderts – haben das zweite Goetheanum besucht: Schlemmer am 30. April 1929, etwa ein halbes Jahr nach dessen Eröffnung, worauf er anschliessend in Basel an der Bauhaus-Ausstellung teilnahm. Hermann Scherchen 1945, als er als Gastdirigent ans Goetheanum kam. Welchen Eindruck die beiden Dornacher Bauten in Schlemmer hinterließen, ist nicht überliefert.
Ab 1933 wurde Schlemmer mit Berufsverbot belegt. Die NS-Presse bezeichnete ihn als "Kunstbolschwisten". 1937 wurden Bilder von ihm in der Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt. Fast mittellos, starb Schlemmer 1943 in Baden-Baden.

Bildausschnitt: Oskar Schlemmers bekanntestes Werk, Bauhaustreppe (1932) MoMa New York
1. Lothar Schreyer: Erinnerungen an Sturm und Bauhaus, München 1956, S. 149.
2. Vgl. Ralf Lienhard (Hg.): Der Kreis der "Individualität". Willy Storrer im Briefwechsel mit Oskar Schlemmer, Hermann Hesse, Robert Walser und anderen. Bern: Haupt Verlag 2003.
3. Anne Weise: Wie das Bauhaus Rudolf Steiner einladen wollte. Die Drei 1-2, 2018, S.56-58.
4. Wolfgang G. Vögele: Erwin Ratz. Kurzbiographie. Forschungsstelle Kulturimpuls.
5. Tut Schlemmer (Hg.): Oskar Schlemmer, Briefe und Tagebücher. Stuttgart: Gerd Hatje, 1977, S. 67.

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