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und menschliche Identität am Ende des Kapitalismus

von Arfst Wagner –
Im Jahr 2009 hat sich in der Bankenkrise der Skorpion des Kapitalismus den Stachel in den eigenen Rücken gestochen. Er wird in seinem Todeskampf noch große Verwüstungen erzeugen. Es wird mehrerer Generationen bedürfen, die Schäden zu heilen, die der Kapitalismus mit seinen Kindern – der Ökonomisierung der gesamten Gesellschaft und der Monetarisierung der politischen und wirtschaftlichen Ideen – hinterlassen hat. Wenn das überhaupt möglich sein wird.

Unsere Gesellschaft muss wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden.

Das vom Kapitalismus hinterlassene kulturelle Vakuum wird so schnell nicht geschlossen werden können. In der Bildung ist der Mensch aus dem Fokus gerutscht. Seine Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt ist der Schlüssel der Pädagogik geworden bis hin in die Kindergärten. Die Idee „Europa“ hat sich, seines kulturellen Kontextes beraubt, in der geistigen Einöde der Ökonomisierung und Monetarisierung wiedergefunden, sodass viele gar nicht mehr wissen, dass Länder wie Bosnien, Mazedonien, Island, Georgien, Russland (ja, Russland!) zu Europa gehören. Definiert man, wie manche es tun, das „eigentliche Europa“ durch die Währungsunion, sind es noch mehr, die herausfallen.

Die EU mit Europa zu verwechseln ist eine aus Arroganz stammende diskriminierende Auffassung, die zeigt, wie weit sich „Europa“ nicht gefunden, sondern verloren hat. Nachdem wir Europäer und die ganze westliche Welt seit mehr als hundert Jahren in die Welt posaunt haben, wie großartig wir doch sind, weil es uns gelingt, unsere Waffen und eine McDonalds-Filiale bis in die letzten Winkel der Erde zu tragen, scheinen wir jetzt überrascht, dass derzeit Hunderte von Millionen Menschen aus so genannten „Drittländern“ darüber nachdenken, nach Europa zu flüchten. 
In den Jahren zwischen 2014 und 2017 war permanent davon die Rede, man müsse „Fluchtursachen bekämpfen“. Davon ist kaum etwas übrig geblieben. Wie weit sich die Politik (und das sind wir letztlich alle!) von der Realität entfernt hat, zeigte im Rückblick, dass noch 2013 in Deutschen Bundestag heftig darüber gestritten wurde, ob Deutschland 3.000 syrische Flüchtlinge aufnehmen soll (wofür die Einen waren), oder ob das zu viele seien (was die Anderen meinten). 3.000!

Die Meere vor Afrika werden währenddessen weiter leer gefischt, die ökologische Katastrophe, die ein Totaldesaster für die kommenden Generationen sein wird, schreitet voran. In den Weltmeeren schwimmt kein Fisch mehr, in dem Mikroplastik nicht nachweisbar ist. Und immer noch meinen viele: Der Schlüssel zur Bekämpfung von Fluchtursachen läge in nordafrikanischen Flüchtlingslagern verborgen.

Die Welt ist aus den Fugen geraten.

Ein kulturell-geistiges und ein wirtschaftlich-politisches Vakuum wird nun, im Sterbeprozess des Kapitalismus, sichtbar. Und die Welt ist noch weiter im Wandel. Manche halten die Digitalisierung für unabwendbar. Das ist sie sicherlich, denn die Interessen, die auch schon den Kapitalismus geleitet haben, erwarten von der Digitalisierung die Rettung. Die Digitalisierung scheint das komfortable Rettungsboot des sinkenden Kapitalismus. 
Dabei wird diese Digitalisierung für uns alle Probleme schaffen, von denen wir heute erst einen Bruchteil überhaupt erkennen können. Allein für die Rüstungsindustrie bieten sich jetzt völlig neue Möglichkeiten. Bald kann jede und jeder einem alles in den Briefkasten stopfen: per Drohne. Ob das, was wir in den Briefkästen finden werden, immer erfreulich sein wird, bleibt zu bezweifeln. 
Die gesamte soziale Welt und die Arbeitswelt werden sich total verändern. Sie sind bereits dabei, das zu tun. Und wie seinerzeit bei der Debatte um 3000 syrische Flüchtlinge im Bundestag steckt die Risikoerforschung auch hier den Kopf in den Sand. Wir sind auf all diese Veränderungen kulturell nicht vorbereitet.

„Die Welt ist im Wandel“: mit diesem Satz beginnt eine bekannte Filmtrilogie. Ja, das ist sie! Und die kulturellen und politischen Mittel, die derzeit angewendet und vorgeschlagen werden, greifen ins Leere, denn sie stammen aus dem letzten Jahrhundert.

Wir brauchen einen kulturellen Wandel.

Die Entwicklung des Menschen, von der viele gar nicht mehr wissen, dass es sie überhaupt gibt, hält mit der äußeren technischen und wirtschaftlichen Entwicklung schon lange nicht mehr mit. Wir brauchen einen neuen Humanismus. Und wir brauchen eine Wissenschaft, die die geistige Entwicklung des Menschen und seine Freiheit in den Mittelpunkt stellt und sich nicht mehr den Zwängen unterordnet, die genau diese Freiheit strukturell verunmöglichen. Dafür lohnt es sich, sich politisch zu engagieren, wobei „Politik“ mehr ist, als wir denken. Josef Beuys sagte einst: „Jeder Mensch ist ein Künstler.“ 
Dem nachfolgend ist auch jeder Mensch ein(e) Politiker(in). Wir brauchen nicht nur einen erweiterten Kunstbegriff, wir brauchen auch einen erweiterten Politikbegriff auf der Basis dessen, was das 21. Jahrhundert von uns verlangt: Ein Bewusstsein davon, dass es nichts auf der Welt gibt, was nicht mit allem anderen zusammenhängt.

Wir brauchen, wiederum dem folgend, ein gesamtgesellschaftliches Denken, das die Interessen aller im Auge hat und nicht nur die Interessen von Gruppen, mögen es gesellschaftliche Kreise oder ganze Völker sein. Nur dann haben wir als Menschen in einer sich verändernden Welt eine Chance. Jeder einzelne Mensch steht in diesen Auseinandersetzungen.

Es kommt auf Jede und Jeden an.

Ein erster Schritt zur Selbstermächtigung des Menschen wäre die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens als eine Art Demokratiepauschale. Wir können den Übergang von einer Misstrauensgesellschaft in eine Vertrauensgesellschaft gestalten. Wohin erstere führt, kann allen heute vor Augen stehen. Wir stehen an einer Wegscheide. Wer seine Identität nicht in sich selber findet, wird sie sich aus Nationalismen oder Ähnlichem holen.

Wohin werden wir gehen?

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