Thema: Grundeinkommen 

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Ein Meinungsbeitrag von Arfst Wagner
Ebbe und Flut sind wie eine Art Atmungsvorgang. Sie hängen mit dem Mond zusammen. Bei Ideen spricht man von Zeitfenstern. Sie kommen und gehen. Und es ist viel verpuffte Kraft, gegen den Strom oder außerhalb von Zeitfenstern zu agieren. Manchmal ist es allerdings notwendig, um Ideen am Leben zu erhalten. Doch man braucht dazu eine wirklich gute Strategie.

Die Debatte zum Grundeinkommen stagniert seit einiger Zeit. Argumente scheinen ausgetauscht, die meisten Menschen wissen, was das "bedingungslose Grundeinkommen" ist. Wirklich? Woher kommt die Stagnation? Hat sich ein Zeitfenster geschlossen? 

Es wirkt kurios: Die Lebenshaltungskosten explodieren. Der Staat kämpft mit der Pleite. Die Sozialsysteme wackeln. Die Gesellschaft befindet sich in einem Spaltungsprozess. Die AfD hat einen erstaunlichen Zulauf. Aber die Debatte um eine Steuerreform findet nicht statt und eine zum BGE wird kaum noch geführt. Kann man sich eine Debatte zum "BGE" angesichts der Weltlage und der eigenen gesellschaftlichen Probleme überhaupt noch leisten? Ja, diese ist sogar dringend notwendig!

Der Zusammenhalt der Gesellschaft benötigt ein politisches Denken, dass aus den Parteiideologien und dem Engagement für einzelne Bevölkerungsgruppen heraustritt und die Gesamtgesellschaft ins Auge fasst. Es bedarf partizipativer Entscheidungsprozesse. Und es bedarf der politischen Ideen, die keine Klientelpolitik fördern, die sich fast immer zum Nachteil derer auswirken, die nicht zur geförderten einzelnen Klientel gehören. Manchmal wird eine Klientel auch nur erwähnt, ohne dass sie gemeint ist. Das ist bei der "Kindergrundsicherung" der Fall, die eigentlich ein Erziehungsgeld für Eltern ist. 

Einer sich spaltenden Gesellschaft muss mit politischen Ideen und Konzepten begegnet werden, die selbst schon das verbindende Element in sich tragen, im Idealfall auch in den Entscheidungswegen.

Das bedingungslose Grundeinkommen wäre für Alle. Ein echter Demokratieimpuls und deshalb ungewohnt für diejenigen, die sich daran gewöhnt haben, seit den Zeiten Bismarcks in Einzellösungen zu denken. Einzellösungen, von denen jede ein komplettes Bürokratiesystem hinter sich herzieht, sind so nicht mehr finanzierbar. Jetzt, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu "Sondervermögen", ist deutlich geworden, dass dieses System nicht mehr funktioniert. Die Krisen unserer Zeit legen die Grundlagen der Finanzierung unserer Gesellschaft frei. Es ist wie eine Ebbe, die die Untiefen sichtbar macht.

Eine eigenartige Diskussion, die auch im Zusammenhang mit dem Grundeinkommen geführt wird ist die über das "Gießkannenprinzip". Viele empfinden es als ungerecht, weil ja dann Reiche dasselbe erhalten, wie Arme. Verwunderlich ist allerdings, dass diejenigen sich nicht beschweren, wenn es um prozentuale Erhöhungen geht. Zum Beispiel in der Lohn- oder Rentendebatte. Da erhalten nämlich die, die schon viel haben, viel dazu während die, die wenig haben, eben wenig dazu erhalten. Einen Protest von Gerechtigkeitsaktivist-Innen gegen prozentuale Erhöhungen habe ich noch nie erlebt. Man möchte "zielgenaue" Unterstützungen und bemerkt nicht, wofür das Wort "Zielgenau" eigentlich steht: für mehr Bürokratie und mehr Kontrolle. Beides gehört zusammen.

Das "Gießkannenprinzip", eben das Bedingungslose des bedingungslosen Grundeinkommens vermeidet Bürokratie und Kontrolle und spart dadurch umfangreich Gelder ein. Und es kommt nicht nur einer Gruppe, einer speziellen Klientel zugute, sondern allen. Auch der Wirtschaft, denn erstens erhalten es alle, die im weitesten Umkreis der Wirtschaft tätig sind, und zweitens haben die Menschen wieder Geld in der Tasche, um sich Mieten, Lebensmittel und anderes wieder leisten zu können.

Unser jetziger Sozialstaat kostet, rechnet man die Kosten von Bund, Ländern, Kreisen und Kommunen zusammen, derzeit etwa 1,3 Billionen Euro im Jahr. Mit deutlich steigender Tendenz. Und es ist zu vermuten, dass dieser Sozialstaat schon bald nicht mehr finanzierbar sein wird. Manche meinen, er ist es schon jetzt nicht mehr. Wir brauchen tatsächlich einen stringenten Kostenabbau, allerdings nicht bei den Leistungen, sondern in der Bürokratie des Sozialstaats. 

Zudem braucht es eine Umgestaltung des Steuersystems. Allerdings auch hier nach demselben Prinzip: Wir brauchen ein neues gesamtgesellschaftliches Steuerkonzept, dass nicht mal diese, mal jene Klientel bevorzugt, wir brauchen ein Steuerkonzept, das ebenso gesamtgesellschaftlich orientiert ist, wie das bedingungslose Grundeinkommen. Ein solches Steuerkonzept muss viele Komponenten enthalten: es muss, auch wegen notwendiger Einsparungen in der Bürokratie, vereinfacht werden. Es muss deutlich transparenter sein, als das jetzige. Es muss eine ökologische Tendenz haben, das heißt, es muss die Verantwortung des Menschen für seinen Konsum steuerlich Ausdruck geben. Es muss Initiative befördern und nicht behindern. 

Ich stelle einmal zur Diskussion, dass ein solches Steuerkonzept ein "BGE" geradezu notwendig machen würde. 

Doch wieder zurück zur Stagnation der derzeitigen Debatte zum bedingungslosen Grundeinkommen. Ich vermute, dass dieser Stillstand, der selbst innerhalb der "BGE-Bewegung" beobachtet werden kann, genau mit dem fehlenden gesamtgesellschaftlichen Ansatz zusammenhängt. Manche wollen ein linkes BGE-Konzept, andere ein grünes, manche ein neoliberales, das dann auch nicht mehr BGE heißt, sondern Bürgergeld, andere wollen ein wirtschaftsfreundliches, andere ein christliches. Wir benötigen aber kein Grundeinkommen aus einer bestimmten Sicht, wir brauchen ein systemisches "BGE" im Zusammenhang mit einer gesamtgesellschaftlichen Steuerreform. Ein "emanzipatorisches" Grundeinkommen ist aus meiner Sicht noch die angemessenste Bezeichnung, auch wenn das genauer definiert werden müsste.

Derzeit könnte es sein, dass trotz aller Notwendigkeit, das "BGE" angesichts der vorhandenen Probleme realpolitisch zu debattieren, das Zeitfenster geschlossen ist. Zwischen 2005 bis etwa zum Jahr 2018 war es aus meiner Sicht geöffnet. Vielleicht wurde in der Zeit des "offenen Fensters" zu idealistisch argumentiert. Und von den Debattierenden wurden oft die politischen Realitäten nicht beachtet oder überhaupt erkannt. Sich nicht entsprechend eingemischt.

Genau da kann jetzt wieder etwas zusammenwachsen, was zusammengehört: aus den derzeitigen wirtschaftlichen und finanziellen Problemen unserer Gesellschaft und auch aus deren Spaltungstendenzen kann die Notwendigkeit einer wirklichen Wende entstehen, die mit einer wirklichen Idee verbunden ist und nicht nur aus der Not vergeblich versucht, eine Tugend zu machen.

Die größte Verbündete des bedingungslosen Grundeinkommens könnte die derzeitige Problemlage sein. Eine gesellschaftliche Transformation erfordert immer eine vorausgehende Transformation des Denkens. Auch die Grundeinkommens-Bewegung muss sich verändern: weg von Konzepten mit partiellen gesellschaftlichen Interessen hin zu einem gesamtgesellschaftlichen Steuer- und BGE-Konzept. Ohne Feindbilder und Kampfbegriffe. Dazu muss eine Debatte geführt werden, die in ein in sich geschlossenes Konzept mündet, das jeder Ebbe und jeder Flut gewachsen ist und nicht die Gesellschaft weiter auseinanderdriften lässt.

Das Grundeinkommen ist eine gesamtgesellschaftliche Idee. Sie wird sich nur durchsetzen auf der Basis eines gesamtgesellschaftlichen Denkens. Als Spielball partieller gesellschaftlicher Interessen wird sie jede Kraft verlieren.


Foto: shutterstock 1316111912

8 Kommentare.

  • Ich habe letzt bei einer Sitzung meiner Partei festgestellt, daß nur auf Partei Interessen zu pochen, Vergangenheit sein muß. Nicht wenige stimmten mir zu. Der Begriff emanzipatorisches Grundeinkommen stammt aus der richtigen Ecke, denn er impliziert selbstermächtigung. Wenn wir auf den Zusammenhang der Gesellschaft abzielen, sind wir auf dem richtigen Weg

  • Juergen Rettel
    20. Dezember 2023 10:34

    „Unser jetziger Sozialstaat kostet, rechnet man die Kosten von Bund, Ländern, Kreisen und Kommunen zusammen, derzeit etwa 1,3 Billionen Euro im Jahr. Mit deutlich steigender Tendenz. Und es ist zu vermuten, dass dieser Sozialstaat schon bald nicht mehr finanzierbar sein wird. Manche meinen, er ist es schon jetzt nicht mehr. Wir brauchen tatsächlich einen stringenten Kostenabbau, allerdings nicht bei den Leistungen, sondern in der Bürokratie des Sozialstaats.“
    Arfst Wagner wiederholt nur den üblichen Schwachsinn, der Sozialstaat koste 1,3 Bio. Er kostet jedoch 0 €, nämlich 650 Mrd. Steuern oben für 650 Mrd. Aufstockungen unten, das sind wie bisher hälftig die Einkommensteuern (Ehepaar Milner 1918) und die AG-Sozialbeiträge (Ludwig Erhard 1957).
    Er verwechselt Umsatz mit Kosten ! Das bGE kostet also NICHT MEHR, sondern WENIGER als der Sozialstaat, weil die Bedarfsbürokratie schlicht entfällt
    (Milton Friedman 1962) !

  • Komisch, lieber Jürgen Rettel, denn genau das wollte ich sagen: Ein BGE würde weniger kosten, als der jetzige aufwändige bürokratische Sozialstaat. Und ich wollte es nicht nur sagen, ich habe es auch. Mich wundert es immer, dass die Gegner des BGE immer mit der Finanzierungsfrage kommen und völlig ignoriren, dass das JETZIGE System, also OHNE das BGE finanziell längst aus dem Ruder läuft. Zudem hier ein Link zum "Schwachsinn" der Summe von 1,3 Billionen. Es sind die Zahlen von 2021, die seither wieder gestiegen sind: https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/61890/sozialbudget/

    • Juergen Rettel
      21. Dezember 2023 9:03

      Arfst Wagner, Sie wiederholen nur den üblichen Schwachsinn von bpb, nicht die Fakten der VGR von destatis : Der Umsatz (!) von 1,3 Bio. Sozialstaat teilt sich auf in 360 Mrd. AG-Sozialbeiträge und 355 Mrd. Nettoproduktionsabgaben, also 715 Mrd. Steuern (Kosten(!)) für 715 Mrd. Aufstockungen, also reine VWL-Kosten = 0.
      Die Kosten sind bei bedingten Grundeinkommen nur die Bedingungsbürokratie, die bei bGE entfällt. Und das erkannte schon Milton Friedman 1962 !
      Nur bGE-Gegner sprechen von hohen Kosten, z.B. halbes Volkseinkommen, es wird de facto nur ein Viertel des Volkseinkommens von Oben nach Unten umverteilt, kostet also gar nichts !

    • Juergen Rettel
      21. Dezember 2023 11:57

      Und Arfst Wagner, der "Schwachsinn" stammt von Ihnen : „Unser jetziger Sozialstaat kostet, rechnet man die Kosten von Bund, Ländern, Kreisen und Kommunen zusammen, derzeit etwa 1,3 Billionen Euro im Jahr." "Kostet" ist Ihr Schwachsinn, es ist 75 % des bGE-Umsatzes, da ohne Freibeträge. Sie zitieren bpb falsch !

  • Juergen Rettel
    21. Dezember 2023 10:43

    Arfst Wagner, bitte zuerst logisch denken :
    Der Link der bpb ist die Statistik des BMAS, nicht die VGR von destatis, dem Sozialstaat fehlen hier die 25 % primären Freibeträge des bGE, er umfasst nur Einkommensteuern (1/3) und Sozialbeiträge (2/3). Die primären Freibeträge zahlt NICHT der Staat, sondern die Kunden und werden nur vom Volkseinkommen erfasst !
    "und völlig ignoriren, dass das JETZIGE System, also OHNE das BGE finanziell längst aus dem Ruder läuft." ist grds. falsch, schon Ludwig Erhard erkannte 1957, dass die AG-Sozialbeiträge von der Lohnsumme auf die Erträge der Arbeitgeber nur umzustellen sind. bGE ist also
    1. Freibeträge individuell VORAB und Besteuerung ab dem ersten Cent (Milton Friedman 1962, Ausleihe der Freibeträge) sowie
    2. Integration der AG-Sozialbeträge in die Einkommensteuer unabhängig von der Lohnsumme (Ludwig Erhard 1957, Erträge statt Löhne als Maßstab) !
    Die Politik leugnet beides seit über 62 Jahren !

    • Juergen Rettel
      21. Dezember 2023 15:43

      "Bei der Finanzierung des Sozialbudgets entfiel im Jahr 2020 mit 40,9 Prozent der größte Anteil auf den Staat – also auf den Bund (21,9 Prozent), die Länder (9,1 Prozent) und die Gemeinden (9,8 Prozent).
      Die privaten Haushalte hatten (insbesondere über die Sozialbeiträge) einen Anteil von knapp einem Drittel an der Finanzierung (30,1 Prozent), die Unternehmen von gut einem Viertel (27,5 Prozent)."

      Hier irrt das BMAS, der Staat finanziert gar NICHTS, die privaten Haushalte finanzieren 30,1 %, die Unternehmen 27,5 % und beide zusammen weitere 42,2 %. Das ergibt für private Haushalte 50 % und für Unternehmen 50 %, also 25 % von den Unternehmen an die privaten Haushalte, 20 % für bGE der 40 % im Nicht-erwerbsfähigen Alter und 5 % für bGE der 10 % Unternehmen.

  • Ja, genau genommen finanziert der "Staat" überhaupt auch gar nicht, auch keine Schulen, Straßen, Armee, denn alles Geld kommt
    von Bürgern und Unternehmen.
    Lassen wirs dabei.
    Frohe Weihnachten.
    A. W.

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