Thema 5G

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5G oder Nachdenken über den Menschheitsfortschritt

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Schweizer Zeitschrift "Gegenwart", die sich in der Ausgabe 3/2019 dem Thema 5G mit umfangreichen Beiträgen widmete. Das Heft ist weiterhin erhältlich. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und des Autors.

von Nothart Rohlfs –
Insofern heute über Entwicklung und Fortschritt der Menschheit in das im Wesentlichen noch vor uns liegende 21. Jahrhundert nachgedacht wird, geschieht dies vor allem unter technischen Gesichtspunkten. Zwar geht es dabei auch darum, die Versorgung der Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln und Gütern des täglichen Bedarfs sicherzustellen, um die Verbesserung der medizinischen Versorgung auf der Welt sowie um flächendeckende Angebote in Sachen Erziehung und Bildung. 
All dies geschieht jedoch vergleichsweise wenig unter Aspekten menschlicher Zuwendung oder sachlicher Befähigung von Menschen zu autonomer, gar autarker Lebensgestaltung und -bewältigung. In allererster Linie wird die Fortschrittsfrage vielmehr als eine technische Frage behandelt, und dies nicht nur in den Ländern der westlichen Zivilisation, wo entsprechend weit gediehene Grundlagen den technischen Fortschritt allem Anschein nach geradezu herausfordern, sondern mehr oder weniger überall auf der Welt. Der Fortschritt der Menschheit nach heutigem Verständnis wird vorrangig gekoppelt an die Ausbreitung des Internets und die Verfügbarkeit der jeweils neuesten Mobilfunknetze. Ob es sich um Verbesserungen im Erziehungswesen oder auf dem Gesundheitssektor handelt: Was hauptsächlich zählt, sind die Voraussetzungen elektronisch-technischer Art. Das Zauberwort in dieser Hinsicht lautet 5G. Außer der Übertragung ungeheurer Datenmengen in 'Echtzeit' verknüpft sich mit der 5G- Mobilfunktechnologie die kabellose Vernetzung von Millionen Geräten und Menschen zu einer potentiell umfassend computergesteuerten Welt.

Das Phänomen 5G

Nähert man sich den mit der angekündigten Mobilfunktechnologie verbundenen Sachverhalten unter geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkten, so ist das nicht einfach, da das Phänomen 5G aus zahlreichen und vielfältigen Gegebenheiten besteht. Deren einzelne 'Bilder' und somit Aussagen zu einem umfassenden Gesamtbild im Sinne einer Phänomenologie dieser Technologie, ihrer Voraussetzungen und Folgen zu verknüpfen, ist und bleibt eine Zukunftsaufgabe. In diesem Artikel soll ein Teilaspekt betrachtet werden, der dem Autor zentral erscheint.

In einer der Ausführungen zu 5G im Internet heißt es, "…die vollständige Einführung wird in städtischen Gebieten zu Antennen im Abstand von 10 bis 12 Häusern führen."1 Die entsprechend zahlreich platzierten Sendestationen der neuen Technologie stellen eine wesentliche Voraussetzung dar für dasjenige, was als das Internet der Dinge bezeichnet wird. Worin besteht dies und was soll es ermöglichen?

Das Internet der Dinge und die Mensch-zu-Mensch-Vernetzung

Worum handelt es sich? Das Sensorium in Ihrem Kühlschrank signalisiert: Butter fehlt, das Verfallsdatum der Milch wird heute, das der Sahne morgen erreicht. Die Daten gehen direkt an den von Ihnen ausgewählten Supermarkt. Nachschub wird geliefert, nachdem Ihre Solvenz von der Bank bestätigt wird. Zuhause steht bei Lieferdatum ihr Haushaltsroboter bereit, übernimmt und verteilt die Waren sachgerecht, während eine Überwachungsanlage den Eingangsbereich Ihrer Wohnung kontrolliert und im Verdachtsfall bei der vernetzten Polizeistation Alarm auslöst. – Dies sind relativ einfache Angebote, welche die Mobilfunktechnologie 5G mittels des Internets der Dinge für die Gestaltung Ihres Privatlebens bereithält. 
Bei ein wenig technischer Phantasie lassen sich weitere derartige Vereinfachungen in der öffentlichen Personenbeförderung, der Regelung des Verkehrs, in der Versorgung von Kranken und Behinderten, in der Personenüberwachung und vielem mehr vorstellen, die bereits in einigen Jahrzehnten menschliches Leben entscheidend prägen könnten. Und das meiste davon im Wesentlichen dadurch, dass sich Menschen technisch vorgegebenen Regeln zweckmäßig fügen und ansonsten miteinander vernetzte, intelligent funktionierende Apparate 'machen lassen'. 

Soweit einmal die harmlosen Anfänge des Internets der Dinge. Hinzu kommt der Leistungsausbau der bedürfnisbezogenen Vernetzung der Menschen untereinander. Im Zentrum stehen dabei Eingabe und Vernetzung personifizierter Daten der eigenen Lebensgewohnheiten, Freizeitaktivitäten, Sozial- und Sexualbedürfnisse, also die Wunschdaten des Tennis-, Urlaubs- oder Geschlechtspartners, die der Fahrgemeinschaften für die Kinder zur Schule, für die Eltern zur Arbeit im Sinne optimaler Erweiterung und Nutzung von Angebot und Nachfrage im Dienstleistungsbereich. Insbesondere materielle und leibgebundene sowie an Eigennutz und -interesse orientierte seelische Bedürfnisse erfahren eine bisher nie dagewesene Erfüllung.

Der Mensch und sein geistiges Gegenüber

Um sich der fortschreitenden Verstrickung in die Abhängigkeit von einer weitgehend unverstandenen technischen Welt im erforderlichen Umfang gegenüberzustellen, braucht der Mensch eine dritte Art der Verbindung mit seinesgleichen sowie der Welt der Ideen und Ideale, moralischer und ethischer Werte, kurz der geistigen Wirklichkeit der Welt. Diese wird durch die beiden geschilderten, mithilfe der 5G-Technologie grandios unterstützten Vernetzungen weder gefördert, noch findet sie durch diese statt. 
Die gemeinte neue Verbindung zwischen Menschen charakterisiert sich im Vergleich zu der erwähnten zweiten Art der Vernetzung, wie sie durch 5G ermöglicht wird, durch einen völlig anderen seelischen und Bewusstseinsfokus des einen Menschen im Hinblick auf sein Gegenüber, den anderen Menschen. In Ergänzung dessen, wie die benannte Technik gewissen menschlichen Bedürfnissen künftig zu dienen vermag, geht es hierbei darum, an dem Widerlager der seelischen und geistigen Anteile des individuellen Menschen in ein höheres und umfassenderes Bewusstsein vorzustoßen, als es unser Alltagsbewusstsein ist. 
Dieses stützt sich im Kern auf die materielle Welt, ihre Gegenstände und Abläufe und geht über diese, außer in Sonderbereichen wie der Mathematik, kaum hinaus. Das von Rudolf Steiner so genannte Erwachen am Geistig-Seelischen des anderen Menschen entfaltet sich auf der Grundlage einer unverstellten, wahrhaftigen und ganz dem Gegenüber zugewandten Begegnung und eröffnet Menschen, ohne dass diese individuell darauf abzielende Übungen vornehmen, ein Empfinden und Bewusstsein für die seelischen und geistigen, damit aber nichtsinnlichen Wesensanteile ihres Gegenübers. Im günstigen Fall wird diese Form der Begegnung von Menschen miteinander, so scheint mir, dazu geeignet sein, den Formen der Vernetzung und ihren Folgen, wie sie durch die 5G-Mobilfunktechnologie gefördert werden, etwas entgegenzusetzen, was den Menschen nicht heillos unter sein eigenes Niveau herabzieht und ihn nicht zwangsläufig in eine Art untermenschliche Welt verstrickt, in der sein eigentliches Wesen weder vorkommt noch irgendeine Bedeutung hat.

Ein zeitgenössisches Bedürfnis und dessen Bedeutung für die Zukunft

Rudolf Steiner charakterisiert das Erwachen am Geistig-Seelischen des anderen Menschen folgendermaßen: Wir erwachen als Menschen vom vereinzelnden Traumbewusstsein zum Wachbewusstsein und treten mit diesem "ersten Erwachen" in ein gemeinsames Bewusstsein dessen ein, was wir gemeinsam mit den uns umgebenden Menschen wahrnehmen und erleben. Wir treten aus dem uns voneinander trennenden Traumbewusstsein in das uns allen gemeinsame gewöhnliche Tagesbewusstsein. Im Vergleich zum Traum eröffnet sich uns in ihm eine gemeinschaftliche Welt. Dies geschieht mittels der Sinne an Licht, Geräusch und an der gesamten natürlichen und vom Menschen geschaffenen Umwelt, in der wir uns bewusstseinsmäßig gemeinsam einfinden auf der Grundlage der uns allen möglichen Wahrnehmung der sinnlichen Welt. 

Ein zweites, höheres Erwachen im Vergleich zu dem Geschilderten wird dem modernen Menschen mehr und mehr zum Bedürfnis, indem er an der nichtsinnlichen und überphysischen Wirklichkeit von Seele und Geist seines menschlichen Gegenübers zu erwachen beginnt. 
"Dieses Bedürfnis ist einmal ein ganz elementares seit dem Beginne des 20. Jahrhunderts und wird immer stärker werden. Das ganze 20. Jahrhundert hindurch wird, trotz allem seinem chaotischen, tumultuarischen Wesen, das die ganze Zivilisation durchsetzen wird, dieses als Bedürfnis aufzeigen: es wird sich einstellen das Bedürfnis, daß Menschen an dem andern Menschen in einem höheren Grade werden erwachen wollen, als man erwachen kann an der bloßen natürlichen Umgebung. Traumleben, es erwacht an der natürlichen Umgebung zum wachen Tagesleben. Waches Tagesleben, es erwacht am andern Menschen, an Seele und Geist des andern Menschen zu einem höheren Bewusstsein. Der Mensch muss mehr werden, als er dem Menschen immer war. Er muss ihm zu einem weckenden Wesen werden. Die Menschen müssen sich näherkommen, als sie sich bisher gestanden haben: zu einem weckenden Wesen muss jeder Mensch, der einem andern entgegentritt, werden." 2 

Was zwischen Menschen geschieht und sie aneinander erweckt

Will man nun konkret charakterisieren, was sich heute zunehmend in der Begegnung zwischen Menschen abspielt und von dem geschilderten Erwachen aneinander zeugt, so ist dies keineswegs einfach. Es handelt sich nicht um äußerlich beobachtbare, wiederholt und in immer derselben Weise auftretende Tatbestände, die anhand äußerlich feststellbarer Kriterien fixiert, abgezählt und statistisch ausgewertet werden könnten. Im Gegenteil!
Worum es sich handelt, sind zunächst sehr feine, intime, oft neben dem scheinbar eigentlichen Geschehen des Alltags hergehende, kaum ins Bewusstsein tretende Vorgänge, die uns erst bei einer gewissen inneren Wachheit für scheinbare Nebensächlichkeiten überhaupt erfassbar werden. Zugleich sind es äußerst alltägliche und sich im sozialen Geschehen zwischen Menschen so gut wie ständig abspielende Prozesse. Es handelt sich im Wesentlichen um Qualitäten, die in Begegnungen zwischen Menschen und ihren täglichen Verhältnissen miteinander auftreten. Wir alle sehnen uns heute nach etwas, was wir nur sehr in Maßen miteinander wie auch aneinander erfahren: nach offenen, ehrlichen, wahrhaftigen, menschlich tragfähigen, aneinander interessierten Verhältnissen, Beziehungen und Begegnungen. Die Älteren unter uns haben es aus ihren Voraussetzungen heraus oft noch leichter, sich abzufinden mit der Art der menschlichen Begegnung, wie diese aus überkommenen Verhältnissen heraus üblich ist. 
Viele Jüngere leiden zunehmend darunter, sind zugleich aber unfähig, in hilfreicher und konstruktiver Weise zu verändern, was sich insbesondere in zusammenarbeitenden Gruppen, in Teams, in den Verhältnissen unter Arbeitskollegen und in ähnlichen Zusammenhängen abspielt. Zwei Beispiele mögen das veranschaulichen: Ich besuche einen langjährigen guten Freund. Binnen kurzem wird im Gespräch eine bedrückte und gespannte Stimmung erlebbar, die sich herzuleiten scheint aus dessen Verhältnis zu seiner Partnerin. Im anschließend erfahrenen Umgang der beiden miteinander erweist sich, dass seine Bemerkungen ihr gegenüber, was die Erziehung der gemeinsamen Kinder betrifft, dazu führen, dass sie gleichsam wegtaucht und als eigenständige Persönlichkeit kaum mehr erfahrbar anwesend ist. Im freundschaftlichen und zugewandten Gespräch mit jedem Einzelnen brechen dann unerwartet intimste Dinge hervor, die keiner der beiden jemals auch nur annähernd dem anderen offenbart hat. Ein Verhältnis zwischen Eheleuten, welches keine Ausnahme bildet. Dabei ist das bislang Dargestellte kaum besonders individuell, Hunderte solcher Szenen und Verhältnisse ließen sich aufzählen, und mehr oder weniger ein jeder von uns wird derartige Erfahrungen kennen. Diese bilden das oft tragische Widerlager dessen, worum es im weiterführenden Sinne in der Verbindung zwischen Menschen geht.

Weit seltener erlebbar ist das Folgende: Ebenfalls in sozialer und seelischer Hinsicht schwierige Verhältnisse unter Menschen führen dazu, dass einer der Beteiligten in entscheidender Weise auf jene anderen zugeht, die er im Grunde seiner Seele als fremd und fernstehend erlebt, mit denen er vielleicht jedoch in einem Arbeitsverhältnis steht. Der Betreffende überwindet sich. In der Folge werden Dinge möglich, die ohne die Überwindung unmöglich geblieben wären. Es kommt erstmalig zu einer wahrhaftigen Aussprache unter den Betroffenen und dabei zwischen Zweien zu einer wesentlichen, bisherige Urteile überwindenden Begegnung. Diese wird fortgesetzt, und einer der beiden erlebt, während er aufmerksam seinem Gegenüber zuhört, wie sich dessen Antlitz beim Erzählen scheinbar völlig zu verändern beginnt und ein Geschehen einsetzt, das der Zuhörende im Nachhinein nur so charakterisieren kann, als habe mit seinem Gegenüber eine Art Blühvorgang stattgefunden. Als sei der Erzählende in der Anwesenheit von ihm, dem Zuhörenden, wie zu sich selbst hin erblüht. So die anfangs schwer verständliche Erfahrung.

Derartige Erlebnisse zwischen Menschen führen dazu, dass auch begrifflich erfasst werden kann, welche Qualitäten die Voraussetzungen bilden für solcher Art weckende Vorgänge, welche Menschen anders aufeinander aufmerksam werden lassen und Möglichkeiten der Begegnung zwischen ihnen eröffnen, die bis dahin undenkbar waren.

Drei Grundqualitäten im 'Erwachen' aneinander

Soweit mir selbst erkennbar, gehören zu jenen Qualitäten drei grundsätzliche Elemente. Diese sind zum einen die tätige Überwindung seelischer Widerstände, die im Zwischenmenschlichen ihren Ursprung haben, zum Zweiten eine erhöhte teilnehmende Aufmerksamkeit an Nebensächlichkeiten oder Kleinigkeiten des Lebens sowie zum Dritten das Streben nach voller Wahrhaftigkeit in der menschlichen Begegnung. Was hier andeutungsweise charakterisiert wird, besitzt, sofern es in menschlichen Begegnungen und Zusammenkünften tatkräftig und zugleich einfühlsam aufgegriffen wird, das Potential, einen Ausgleich zu bilden zu den beinahe zwangsläufigen Wirkungen jener Mobilfunktechnologie und ihren Begleiterscheinungen, die den Menschen zentral ansprechen als sinnlich-materielles Bedürfniswesen. 
Erfasst er sein Gegenüber zunehmend als ein geistiges und fühlt sich selbst von diesem immer mehr erfasst in seinen seelisch geistigen Dimensionen, so kann neben dem Vorgenannten ein Erlebnis keimen und wachsen, welches die Erfahrung ermöglicht: Mein menschliches Gegenüber ist in seiner Ganzheit ein seelisch-geistiges Wesen. Dieses Wesen wird von jener Welt nicht berücksichtigt noch erkannt, welche mir weismachen will, allein technischer Fortschritt sei menschlicher Fortschritt. Ich empfinde, dass dies nicht wahr ist. Dieses Empfinden wird mir die Grundlage sein, auch künftig nach der umfassenden Wahrheit des wirklichen Wesens in meinem menschlichen Gegenüber und meiner selbst zu suchen und die mich umgebende Welt im Sinne dieser Wahrheit zu gestalten.

1 www.diagnose-funk.org/publikationen/artikel/detail&newsid=1220
2 Rudolf Steiner: Anthroposophische Gemeinschaftsbildung, GA 257, Vortrag vom 3. März 1923

Nothart Rohlfs, Herderstr. 22, 12163 Berlin
Quelle: Zeitschrift GEGENWART Nr. 3/2019
Gegenwart, Ballenbühl 473, CH-3503 Gysenstein (4 x jährlich)
info@zeitschrift-gegenwart.ch

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