Replik auf eine wenig glaubwürdige Kritik

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Der Uno-Sonderberichterstatter Nils Melzer hatte vor einigen Tagen im Fall des Wikileaks-Gründers Julian Assanges schwere Vorwürfe gegen die Ermittlungsbehörden verschiedener Länder erhoben. In der NZZ hatte die Strafrechtlerin Tatjana Hörnle die Thesen infrage gestellt. Ebenfalls in der NZZ setzte sich Melzer mit einer Replik zur Wehr. Wir veröffentlichen diese Replik mit freundlicher Genehmigung der NZZ und des Autors Nils Melzer.

Am 20. Februar erschien in der NZZ eine wortreiche Kritik meiner Untersuchung des Falles Assange in meiner Funktion als Uno-Sonderberichterstatter über Folter («Julian Assange ist ein wenig glaubwürdiges Opfer einer grossen Verschwörung»). Die Autorin wirft mir vor, eine «Verschwörungstheorie» zu verbreiten, bezeichnet meine Schlussfolgerungen als «fragwürdig» oder gar «absurd» und unterstellt mir nicht nur die Verletzung meiner Sorgfalts- und Neutralitätspflicht, sondern auch mangelnde Fachkompetenz bei der Auslegung des Folterbegriffes.

Im Rahmen ihrer «kritischen Überprüfung» fragt die Autorin zunächst, «warum sich der Uno-Sonderberichterstatter über Folter berufen sieht, strafrechtliche Ermittlungen zu kommentieren». Offensichtlich ist ihr noch nicht aufgefallen, dass Folter vergleichsweise häufig in «strafrechtlichen Ermittlungen» zum Einsatz kommt, etwa bei Verhören oder zur Einschüchterung Dritter. Es gehört somit zum täglichen «Kerngeschäft» meines Mandates, mich zu fehlerhaften Strafverfahren zu äussern.

«Selbst gewählt»

Weiter staunt die Autorin darüber, dass ich nach einem vierstündigen Gefängnisbesuch bei Assange in Begleitung zweier auf Folteropfer spezialisierter Ärzte zum Schluss kam, Assange sei psychologischer Folter ausgesetzt gewesen, und erklärt dies für «absurd», denn seine Isolation in der Botschaft Ecuadors sei «selbst gewählt» gewesen. Dass es ihr im Vergleich zum Sonderberichterstatter und seinem Ärzteteam an Fachwissen und Praxiserfahrung in der Untersuchung von Folteropfern mangeln könnte, kommt ihr offenbar ebenso wenig in den Sinn wie der Umstand, dass politisches Asyl immer «selbst gewählt» ist. Entscheidend ist, ob der Verfolgte beim Verlassen seines Asyls einen fairen Prozess und Menschenrechtsschutz bekommen würde. Wie sich gezeigt hat, ist dies bei Assange nicht der Fall.

Ohne jede rechtliche Begründung unterstellt mir die Autorin sodann einen «lockeren Umgang» mit dem Folterbegriff, der für die Anliegen meines Amtes «schädlich» sei und die Bedeutung des absoluten Folterverbotes «unterminiere». Der Vorwurf wiegt schwer, jedoch lehnt sich die Autorin damit vor allem selber sehr weit aus dem Fenster. Offenbar ist sie im Rahmen ihrer Forschung weder mit «weisser Folter» in Berührung gekommen noch mit kollektiven Misshandlungsszenarien, wie sie beim organisierten Mobbing und bei Diskriminierungskampagnen vorkommen, und zwar mit schwersten Folgen für die Betroffenen. Es sei hierzu die Lektüre meines neuesten Berichtes zum Thema psychologische Folter empfohlen, der diese Woche im Uno-Menschenrechtsrat in Genf vorgestellt wird.

Auch wenn ich gerne bereit bin, meine Mandatsarbeit einer «kritischen Überprüfung» auszusetzen, so wäre die Autorin gut beraten, ihre eigenen Fakten nicht einfach willkürlich aus beliebigen Interviews zusammenzuziehen, sondern sich seriös mit meinen offiziellen Kommunikationen in der Sache auseinanderzusetzen und idealerweise sogar meine Stellungnahme einzuholen, bevor sie sich mit einem Pauschalangriff exponiert. Sie wüsste dann auch, dass ihre Behauptung, ich hätte «offensichtlich nicht mit den beiden Zeuginnen des schwedischen Strafverfahrens gesprochen», falsch ist.

«Fragwürdige Informationen» und «Fakten»

Es ist auch empfehlenswert, sich gut in einen Sachverhalt einzulesen, bevor man dessen Untersuchung durch einen offiziellen Mandatsträger in der Luft zerreisst. So hätte sich etwa vermeiden lassen, dass die Autorin Assange fälschlicherweise des «Eindringens in Computersysteme» bezichtigt, die involvierten Frauen im Sachverhaltsbeschrieb verwechselt und die Tatsachen in verzerrter und selektiver Weise wiedergibt. Ohne Zögern wirft mir die Autorin vor, «fragwürdige Informationen als Fakten» darzustellen, erbringt jedoch keinerlei Beweise für ihre eigenen Pauschalbehauptungen, etwa dass die Bereitschaft Assanges, im Gegenzug für eine Garantie der Nichtauslieferung an die USA am Strafverfahren in Schweden teilnehmen zu wollen, «ausschliesslich taktisch motiviert» gewesen sei.

Schliesslich fordert die Autorin für jedes behauptete staatliche Missverhalten nicht nur den Beweis, sondern auch das Fehlen einer plausiblen alternativen Erklärung. Sie hat natürlich recht, dass nicht jeder Verfahrensfehler gleich als Verschwörung zu werten ist. Wenn aber die Grundrechte einer Person zehn Jahre lang in jedem Stadium jedes Verfahrens massiv verletzt werden, wenn diese Fehler in keinem Fall korrigiert werden und sich die involvierten Staaten konsequent weigern, mit den hierfür mandatierten Uno-Mechanismen zu kooperieren, dann ist die Wahrscheinlichkeit einer völkerrechtskonformen «alternativen Erklärung» erfahrungsgemäss nahe bei null.

Insgesamt bemüht sich die Autorin, ihrer «kritischen Überprüfung» einen sachlichen Anstrich zu verleihen, sägt jedoch vor allem am Ast der eigenen Glaubwürdigkeit.

Nils Melzer ist Rechtswissenschafter, Publizist und Uno-Sonderberichterstatter über Folter.

Quelle: NZZ

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