von Wolfgang Herzberg
Ich schreibe Ihnen diesen Brief, als jüdischer Nachkomme einer Familie, die durch die Nazizeit ermordet, in die ganze Welt zerstreut, aber auch, wie meine Eltern und vieler ihrer Freunde, in politischer Verantwortung, aus weltweiter Emigration, sowie den Konzentrationslagern, ins zerstörte Nachkriegsdeutschland zurückkehrten, in der ersehnten Hoffnung, mitzuhelfen, nach 1945 ein antifaschistisches, friedliebendes, soziales und demokratisches Deutschland, trotz alledem, aufzubauen. Der Schwur von Buchenwald formulierte, sinngemäß, dieses Ideal: "Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!" Ich schreibe Ihnen diesen Brief, aus tief empfundener Sorge, dass dieses wertvolle Nachkriegserbe derzeit, auch durch ihre Außenpolitik verspielt und vollständig zerstört wird. Ich weiß mich, in dieser großen Sorge, dabei mit vielen jüdischen, wie nicht jüdischen Nachkommen aus antifaschistischen Familien einig, deren Eltern in beiden deutschen Staaten nach dem Krieg politisch und kulturell unverzichtbar waren, nicht zuletzt in Ihrer eigenen Partei.
In Erwägung, dass Millionen Ukrainer und Russen bereits im 1. und besonders im 2. Weltkrieg ihr Leben durch deutsche Waffen und deutsche Soldaten verloren haben und, dass gerade die "Rote Armee", zusammen, mit Ukrainern und Russen, entscheidend dazu beitrugen, die Osteuropäer und schließlich auch die Deutschen vom Hitlerregime und vom singulärem Völkermord an den Juden zu befreien, sollten deshalb jetzt, auf keinen Fall mehr, gerade auch deutsche Waffen erneut dazu beitragen, diesen sinnlosen Krieg in der Ukraine zu verlängern und immer weiter eskalieren zu lassen. Das führt nur dazu, dass alle umkämpften Gebiete in der Ukraine und Russlands weiter in Schutt und Asche gelegt und weiterhin Tausende von Kriegsopfer und Millionenfaches Flüchtlingselend erzeugt wird, falls dieser Krieg so unerbittlich weiter gehen sollte;
In Erwägung, dass die sozialdemokratischen Bemühungen von Willy Brandt und Egon Bahr, durch ihre mutige Entspannungs- und Deeskalationspolitik, durch eine Politik der kleinen Schritte und schließlich durch den KSZE – Prozess entscheidend dazu beitrug, dass die Mauern des "Kalten Krieges" 1989 fielen und damit auch die deutsche Wiedervereinigung möglich wurde. Das gelang nur, durch eine couragierte Abwendung von einer konservativen, westlichen Konfrontationspolitik. In Ihrem Parteiprogramm finden sich deshalb folgende Schlüsselsätze:"Die internationale Politik der … Sozialdemokratie dient dem Ziel, Konflikte zu verhindern und Frieden zu schaffen. Unsere Prinzipien dafür sind Verständigung, internationale Solidarität und gemeinsame Sicherheit durch Kooperation… Umfassende Sicherheit lässt sich nur gemeinsam lösen… Wir knüpfen an die erfolgreiche Entspannungspolitik Willy Brandts in Europa an… Wir plädieren für eine neue Entspannungspolitik, die Verständigung ermöglicht, Aufrüstung vermeidet und friedliche Lösungen von Konflikten ermöglicht."
In Erwägung, dass Genscher und Kohl, sich gegenüber Gorbatschow verpflichtet hatten, außer auf dem Gebiet der DDR, keine Nato – Osterweiterung und damit keine Militarisierung ganz Osteuropas, einschließlich der Ukraine vorzunehmen, als Gegenleistung für den Abzug sowjetischer Truppen aus allen diesen Gebieten und der von ihm dadurch erhofften Beendigung der militärischer Konfrontation durch den "Kalten Krieg" in einem "Gemeinsamen Haus Europa";
In Erwägung, dass das Grundgesetz und ihr Amtseid, Sie dazu verpflichtet "Schaden vom deutschen Volk abzuwenden" und keinesfalls, als Kriegspartei, nicht nur die deutsche Bevölkerung immer weiter und erneut in einen globalen Krieg hinein zu ziehen, der zugleich Millionen ukrainischer Flüchtlinge nach Deutschland bringt, sowie alle, ohnehin fragilen Sozialsysteme, kollabieren lässt, die Lebenshaltungskosten inflationär weiter in die Höhe und den Staatshaushalt immer tiefer in die Schuldenkrise treibt und schließlich den Rechtsradikalen und Neonazis fortlaufend die Hände spielt;
In Erwägung, dass Geist und Buchstaben der UN-Charta gerade nicht dazu ermächtigen, Kriege zu unterstützen und Öl ins Feuer zu gießen, sondern dafür gegründet wurde, Kriege zu verhindern, wenn es in ihrer Präambel an erster Stelle heißt: "Wir, die Völker der Vereinten Nationen – fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat."
In Erwägung, dass nun doch erneut der Weltfrieden akut bedroht ist und die alten militärischen Konfliktherde des "Kalten Krieges" zwischen Ost und West, Nord und Süd, sich immer weiter dramatisch verschärfen und deshalb auch die Nationalisten aller Länder weiter auf dem Vormarsch sind;
In Erwägung, dass die vordringliche Bewältigung der ökologischen Krise und die damit zusammenhängende, soziale Krise nur durch außerordentlich solidarische Anstrengungen der gesamte Weltgemeinschaft noch zeitnah möglich ist;
Fordere nicht nur ich sie inständig auf:
hören Sie bitte, Herr Bundeskanzler, auf diese ununterbrochen, warnenden Stimmen aus aller Welt und gerade auch aus Deutschland: stoppen Sie durch Ihr mutiges Veto, als hauptverantwortlicher deutscher Politiker, alle Rüstungslieferungen aus Deutschland und der Nato an die Ukrainischen Machthaber, um sie von ihrer illusionären "Siegfrieden – Strategie" gegen Russland abzubringen, damit sie umgehend an den Verhandlungstisch mit der russischen Seite zurückkehren. Dieser Stopp der Rüstungslieferungen wäre auch ein echtes Verhandlungsangebot an die russische Führung und der erste Schritt für einen Waffenstillstand, dem schrittweise eine Verhandlungslösung, durch internationale Vermittlung folgen muss. Das wäre eine wirkliche Zeitenwende!
Sie haben es noch in der Hand, diesen wahnsinnigen Krieg, der den Weltfrieden, noch nie wie nach 1945 bedroht, und auch die ökologische Krise immer weiter eskalieren lässt, umgehend zu beenden, wenn sie weitere Waffenlieferungen stoppen, um alle Seiten an einen "Runden Tisch" für eine Verhandlungslösung zu drängen, der durch ihr mutiges Friedensangebot ermöglicht werden kann.
Werden Sie, auf dem Hintergrund der unheilvollen, singulären deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert und der friedensstiftenden sozialdemokratischen Traditionen und Programmatik Ihrer eigenen Partei, der hohen politischen Verantwortung jetzt gerecht: Sie haben es mit in der Hand, Weltgeschichte zu schreiben, wenn Sie jetzt entscheidend dazu beitragen, sich an die Spitze einer weltweiten Friedenssehnsucht zu stellen, um entscheidend dafür beizutragen, uns von der Geißel dieses sinnlosen globalen Krieges zu befreien!
Wolfgang Herzberg ist Autor und Herausgeber biografischer Zeitzeugenberichte und schreibt unter anderem für die Zweiwochenzeitschrift Ossietzky.