Das Raumschiff Anthroposophie mit Herrn Brandt in höheren Sphären
von Michael Mentzel
Eine besondere Facebook-Gruppe ist "Das Raumschiff Anthroposophie". Dort tummeln sich Anthroposophen, sowie Menschen, die sich dafür halten, mit denen, die ganz allgemein an Anthroposophie Interessiert sind, mit erbitterten Gegnern der Anthroposophie wie auch der Waldorfpädagogik. Die Beiträge spiegeln ein buntes Bild von Ansichten, das Pro und Contra ist sogar stellenweise einigermaßen ausgewogen.
So genannte Querdenker wie zum Beispiel Zeitgenossen, die differenzierte Ansichten zum Thema Corona oder zum Ukraine-Krieg hatten oder noch haben, sind allerdings nicht besonders gern gesehen und werden mehr oder weniger gnadenlos und so lange gemobbt, bis sie entnervt aufgeben und sich dann nach langem Hick-Hack wieder zurückziehen.
Nun hat es einmal mehr die anthroposophische Wochenschrift "Das Goetheanum" und einen ihrer Redakteure getroffen. Hatte dieser es doch wieder einmal gewagt, einen offensichtlich Andersdenkenden zum Thema Ukraine zu interviewen: "Früher hat Louis Defeche die Geschichtsfälschungen von Daniele Ganser über "Das Goetheanum" lanciert, jetzt lässt er Martin Bernard in diesem Interview die folgende Lüge verbreiten: "Die Ukrainer waren einen Monat nach Kriegsbeginn bereit, einen Friedensvertrag zu unterzeichnen, wurden jedoch von den Amerikanern und Briten mit dem illusorischen Versprechen, sie zu verteidigen, daran gehindert.[1]
Nun ist es natürlich nicht nur der o. g. Martin Bernard, von dem derlei Einschätzungen zum Thema Ukraine zu hören ist, denn Bernard befindet sich damit in guter Gesellschaft. Zum Beispiel mit dem ehemaligen Diplomaten Michael von der Schulenburg, der folgendes zu den damaligen Verhandlungen sagt:
"Im Gegensatz zu westlichen Darstellungen waren sich damals Ukraine und Russland darin einig, dass die geplante NATO-Erweiterung der Grund des Krieges war. Sie konzentrierten daher ihre Friedensverhandlungen auf die Neutralität der Ukraine und dessen Verzicht auf eine NATO-Mitgliedschaft. Im Gegenzug würde die Ukraine ihre territoriale Integrität mit Ausnahme der Krim behalten haben. (…) Es bestehen kaum noch Zweifel darüber, dass diese Friedensverhandlungen am Widerstand der NATO und insbesondere dem der USA und der UK scheiterten. Ein derartiger Friedensschluss wäre einer Niederlage der NATO, einem Ende der NATO-Osterweiterung und damit einem Ende vom Traum einer von den USA dominierten Welt gleichgekommen."[2]
Und in der Berliner Zeitung war zu lesen: "…. Wenige Wochen nach dem Beginn der russischen Invasion hatte es in Istanbul direkte Verhandlungen beider Seiten gegeben. Der ehemalige israelische Ministerpräsident Naftali Bennet hatte zuerst über das Treffen in Istanbul berichtet und erklärt, dass Russland und die Ukraine kurz vor einem Abkommen gestanden hätten, doch der britische Premier Boris Johnson habe interveniert und die Ukraine aufgefordert, Russland militärisch zu besiegen."[3]
Naftali Bennet hatte später seine Aussage modifiziert, so hieß es im Februar 2023 in der Schweizer Weltwoche: "Bennett bejahte die Frage, ob die Verhandlungen vom Westen ausgesetzt worden seien. «Im Grossen und Ganzen, ja. Sie [der Westen, Red. Weltwoche] brachen die Verhandlungen ab, und damals dachte ich, sie hätten Unrecht. Aber jetzt sage ich, dass es zu früh ist, um Schlüsse zu ziehen.» Nach Bennetts Einschätzung hätten die Verhandlungen damals noch zu einem positiven Ergebnis führen können. Heute bezweifelt er allerdings, dass es der richtige Weg war. «Damals schien mir ein Waffenstillstand das Richtige zu sein, aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher.»"[4]
Dass Herr Brandt sein Geschichtsbild an den allgemein gültigen Lesarten des "Wertewestens" zum Ukraine-Konflikt ausrichtet, ist in dieser Diskussionsgruppe nicht verwunderlich, und es ist auch nicht das erste Mal, das der Autor seiner Empörung über differenziertere Ansichten zu diesem Thema Ausdruck verleiht. Er weiß es natürlich besser und kommentiert die Verhandlungen, die 2022 in Istanbul stattfanden, so:
"Die Ukraine konnte damals unmöglich auf die unverschämten russischen Vorschläge eingehen, die vorsahen, dass die Ukraine drastisch abrüstet und keine brauchbaren Sicherheitsgarantien bekommt. Russland hätte nach Abschluss eines solchen Vertrages die Ukraine mit Leichtigkeit erneut angreifen und dann auch komplett erobern können. Die Ukrainer sind keine Idioten, wie Bernard und Ganser unterstellen. Sie hätten so einen Mist niemals unterschrieben."
tztztz… diese Anthroposophen …
Natürlich weiß Till Brandt ganz genau, was hinter der Absicht des Interviewers und des Interviewten steckt: "…. uns aber soll der Eindruck vermittelt werden: Eigentlich ist Putin ja für Frieden und nicht für den Massenmord in der Ukraine verantwortlich. Die Bösen sind mal wieder die Amerikaner und Briten. Fakt ist: Anders als die Sowjetunion haben die USA und GB durch ihren Kampf gegen Japan und Deutschland im 2. Weltkrieg tatsächlich vielen Ländern geistige Freiheit gebracht. Louis Defeche und Martin Bernard interessieren sich einen Scheißdreck für den Freiheitskampf der Ukrainer."
Schlichter kann man des Facebook-Autors Verständnis der gegenwärtigen Weltlage und ihrer Hintergründe wohl nicht ausdrücken. Aber sei es drum. Gut dass wir mal wieder drüber geredet haben.
1. https://dasgoetheanum.com/fuer-eine-spirituelle-erneuerung-europas/
2. https://michael-von-der-schulenburg.com/ukraines-gescheiterte-friedensverhandlungen/
3. naftali bennet: https://www.friedenskooperative.de/friedensforum/artikel/naftali-bennett-der-westen-brach-die
4. https://weltwoche.ch/daily/der-westen-brach-die-verhandlungen-ab-israel-enthuellt-gescheiterte-annaeherungsversuche-zwischen-ukraine-und-russland/