Das Wort des Monats: Technosolutionismus

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Ein Beitrag von Walter Beutler

Technosolutionismus. Auf dieses unmögliche Wort bin ich in einem gemeinsamen Essay von drei NaturwissenschaftlerInnen gestossen, veröffentlicht unter dem Titel «Fit für den Klimakollaps?» in der Juli-Ausgabe von Le Monde Diplomatique (deutsche Ausgabe). Der Begriff bezeichnet die ebenso unmögliche Haltung, der Klimaerhitzung könne mit technischen Mitteln – und nur mit technischen Mitteln – begegnet werden, ohne dass am Umgang mit der Natur und am Wirtschaftssystem grundsätzlich etwas geändert werden muss. – Eine bedrohliches Trugbild, wie die WissenschaftlerInnen schlüssig darlegen.

Technisch sind der Menschheit scheinbar keine Grenzen gesetzt: Künstliche Intelligenz überflügelt bald die menschliche Intelligenz – sagt man. Und man müsse die Menschheit für die Klimakrise fit machen, indem zum Beispiel der Atmosphäre im grossen Stil CO2 entzogen werde, indem die Ozeane mit Eisen gedüngt würden oder indem im Weltraum zwischen Sonne und Erde ein Schild installiert werde, das ein Teil der Sonnenstrahlung aufhalte. (Siehe Abbildung!)

Wer solche rein technischen Anpassungsstrategien propagiert und ansteuert, geht davon aus, dass die internationalen Abkommen zur Beschränkung der globalen Erwärmung nicht eingehalten werden und dass sich die dafür notwendige Reduktion der Treibhausgase nicht durchsetzen lässt. Solche «Pragmatiker» möchten die Klimakrise mit denselben Mitteln bewältigen, die sie hervorgerufen haben: Mit industriellen Mitteln sollen die Folgen einer ins Kraut schiessenden, neoliberal befeuerten Industriegesellschaft bewältigt werden.

Die Arroganz des Technosolutionismus

Das ist zu mechanistisch gedacht: Wie wenn man ein paar Stellschrauben des Erdmechanismus anziehen könnte, um den stotternden Motor wieder zum Laufen zu bringen. Dem liegen gleich mehrere Irrtümer zugrunde:

  1. Die Erde ist ein hochkomplexer Organismus. Jeder globale Eingriff unter dem Banner des Geoengineerings wäre ein grossangelegtes Experiment mit vielen Unbekannten und unabsehbaren Folgen.
  2. Es ist eine Illusion und wissenschaftlich nicht haltbar zu meinen, man könne sich Schritt für Schritt an die Klimakrise anpassen, «so als würde man einen Deich nach und nach um eine Reihe Ziegelsteine erhöhen». Was, wenn sich im Laufe der Klimakrise das wirtschaftliche und politische Umfeld unvorhersehbar verschlechtert, so dass die Mittel dafür nicht mehr aufgebracht werden können?
  3. Dem wirtschaftlichen Wachstum, wie es heute praktiziert wird, sind nun mal Grenzen gesetzt. Daran ändern auch technische Massnahmen nichts, auch wenn sie durchaus eine Rolle spielen können bei der Bewältigung bestimmter Umweltprobleme.

Doch damit ist der eigentliche Irrtum des Technosolutionismus – und dessen Arroganz – noch gar nicht berührt. Mit seinen gigantesken Lösungsansätzen bremst er technisch plausible, gerechte und ethische Lösungen aus. Er sucht «Wärmeregler» für die Atmosphäre, damit Gesellschaft, Landschaften, Wasserläufe und Biosphäre weiterhin und ungehindert an die Nachfrage der Industrie angepasst werden können. Das ist eine eigentliche Umkehr des Sinns und Zwecks der wirtschaftlichen Tätigkeit, die den Bedürfnissen der Menschen und der menschlichen Entwicklung zu dienen hat.

Die Dampfwalze der Industriegesellschaft trifft auf freiwillige Unterwerfung. Sie assimiliert Kulturen und macht sich die physische Welt und alles Lebende «passend». Zwei Grenzen wurden überschritten: Erst wurde die menschliche Gesellschaft und dann die gesamte physische und lebende Welt zu blossen Mitteln des technischen Systems. Die Umkehr der Unterordnungsverhältnisse vollendet das neoliberale Projekt durch die totale politische Kontrolle aller Sphären der Erde.

Industrie und Finanzmärkte disziplinieren

Es versteht sich von selbst, dass ein solches Ansinnen auf weltweiten Widerstand stösst. Nur mit massivem Zwang lässt es sich durchsetzen. Die Umweltbewegung als Ganzes wird zudem mit Begriffen wie «Ökofaschismus» diffamiert, Umweltaktivisten betitelt man als «Ökoterroristen». Vielenorts werden sie ins Gefängnis geworfen oder umgebracht. Um weiterzumachen wie bisher, bleiben der Industriegesellschaft nur noch die Mittel der Repression. Eine Zuspitzung zwischen autoritären Lösungen und der weiteren Verschärfung der Klimakrise ist damit absehbar.

Selbstverständlich sind auch andere Lösungswege denkbar, die unter der Bezeichnung «positive Anpassung» bekannt und auch praxistauglich sind. Aufforstung, Stadtbegrünung, ökologische Landwirtschaft sind ein paar Stichworte zu einer ganzen Palette eines anderen Umgangs mit der Umwelt- und Klimakrise. Die übertriebenen Gegensätze zwischen Gesellschaft und Natur müssen aufgegeben, Industrie und Finanzmärkte diszipliniert und in den Dienst der Gesellschaft gestellt werden.

Fromme Wünsche? Nicht ganz – sie sind die Voraussetzung, dass wir nicht auf eine autoritäre Zukunft zusteuern. Die Disziplinierung von Wirtschaft und Finanzmärkten wird eine der grossen Herausforderungen sein.


Dieser Text erschien zuerst auf dem Blog von Walter Beutler (Walter B.s Textereien) walbei.wordpress.com

Zur Abbildung:
Schematische Darstellung der Funktion einer Weltraumlinse zur Abschwächung der globalen Erwärmung. Bild: Mikael Häggström (User:Mikael Häggström), Public domain, via Wikimedia Commons

Textquelle:
Alle Zitate stammen aus dem Artikel «Fit für den Klimakollaps?» von Fabienne Barataud (Geografin), Laurent Husson (Geophysiker) und Stéphanie Mariette (Populationsgenetikerin), erschienen in Le Monde Diplomatique (deutsche Ausgabe) vom Juli 2024. Übersetzung aus dem Französischen: Claudia Steinitz.

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