Karl Schlögels vergessenes Gedächtnis

  1. Startseite
  2. Aktuell
  3. Karl Schlögels vergessenes Gedächtnis

Ein Beitrag von Juergen Adriaans/Pressenza 

Wenn Karl Schlögel so aufrichtig gewesen wäre, zu sagen, er hätte damals nur seine Fahne in den Wind gehängt und den Wehrdienst verweigert, weil es „IN“ war, so hätte er jetzt nur sagen brauchen, dass er sich treu geblieben sei. Aber das tut er nicht – er verteidigt seinen Wandel.

Der entscheidende Unterschied zu den 1970er-Jahren, in denen Schlögel den Wehrdienst verweigerte, liegt nicht in der „Rückkehr“ des Krieges, sondern in der „Rolle Deutschlands“. Damals war die Bundeswehr eine Armee im Wartestand – symbolisch eingebettet in den Kalten Krieg, aber ohne reale Kriegseinsätze. Heute dagegen ist sie global aktiv, beteiligt an militärischen Operationen, logistisch und technisch verknüpft mit einem heißen Krieg in der Ukraine.

Schlögels Kehrtwende wirkt wie eine Geste, die im gegenwärtigen intellektuellen Klima gut ankommt: Wer die Ukraine militärisch unterstützt, gilt als auf der richtigen Seite der Geschichte.

Doch wer so argumentiert, offenbart weniger ein neues Denken als ein vergessenes Gedächtnis.

Bei Karl Schlögel ist das kein Denkfehler. Das ist Strategie. Denn die intellektuelle Klasse unserer Zeit braucht Narrative, keine Widersprüche. Wer „auf der richtigen Seite“ steht, darf Logik opfern. So verwandelt sich der ehemalige Pazifist in einen „realistischen“ Kriegsbefürworter, (hier wird so mancher protestieren und sagen: „Er mag falsch liegen, aber er will doch keinen Krieg!“)

Richtig, er will keinen Krieg anzetteln! Aber er will Krieg mit Krieg bekämpfen; ist also Befürworter des „Verteidigungskrieges“, und zwar weniger zur Sicherung des Lebens und des Hab und Gutes, sondern zur Sicherung der „Würde“. Damit sind wir verdammt nahe an der braunen Logik, die wir glaubten hinter uns gelassen zu haben.

Karl Schlögel lehnt also nicht mehr den „Krieg zur Durchsetzung politischer Interessen“ ab, wie in den 70ern, sondern nur den „Angriffskrieg“. Dabei sind alle Kriege der Moderne, auch der Überfall auf Polen 1939, als Verteidigungskriege legitimiert worden.

Der ehemalige Wehrdienstverweigerer hätte heute allen Grund, seine damalige Haltung zu bekräftigen – als Mahnung, dass Frieden nicht durch Aufrüstung, sondern durch politische Vernunft, historisches Erinnern und Selbstbegrenzung verteidigt wird.

Schlögel ist kein naiver Mann. Er weiß, was er sagt. Und genau das macht seine Argumentation so beängstigend. Wenn ein Historiker von seinem Format behauptet, der Krieg sei „zurück nach Europa“ gekommen, dann ist das nicht Unwissen, sondern Absicht. Er kennt die Balkankriege, die NATO-Bombardierung Serbiens, die Tschetschenienkriege – auch die Armenier gehörten zumindest kulturell zu Europa. Er weiß, dass Krieg in Europa nie verschwunden war. Wenn er ihn nun erst mit dem russischen Angriff auf die Ukraine „zurückkehren“ lässt, dann verschiebt er bewusst die historische Perspektive – um eine moralische Linie zu konstruieren: Hier das Gute, dort das Böse. Das ist aber die Legitimationsbasis aller Kriege!

„Deutschland und Europa“, sagt er, „müssten endlich begreifen, dass Putins Russland einen Krieg gegen den Westen führe.“

Dass der „Westen“, also die Nato, seit Jahrzehnten gegen Russland vorrückt, hat er offensichtlich nicht bemerkt. Wer all das ausblendet, will nicht aufklären, sondern umdeuten.

Schlögels Ruf nach „Wehrhaftigkeit“ wirkt auf den ersten Blick vernünftig. Doch gerade ein Historiker müsste wissen, dass Wehrhaftigkeit historisch nie Schutz vor Krieg war. Im Gegenteil: Sie war oft sein Motor.
Die militärischen Aufrüstungen vor dem Ersten Weltkrieg, die Konkurrenz der Systeme in der Zwischenkriegszeit, der atomare Wettlauf im Kalten Krieg – sie alle folgten der gleichen Logik: Sicherheit durch Stärke. Doch diese „Sicherheit“ war schon immer Illusion. Jede Erhöhung der Wehrhaftigkeit erzeugte Gegenspannung, jedes Rüsten provozierte Nachrüsten. Frieden war nie das Resultat dieser Spirale, sondern nur ihre kurze Pause.

Dass Schlögel diesen Zusammenhang ignoriert, ist kein Versehen. Es ist ein Symptom unserer Gegenwart: Intellektuelle erklären Kriegsvorbereitung zur Friedenspolitik, weil der politisch-industrielle Konsens es so will.

Dass er seine Fahne in die richtige Windrichtung gehängt hat, belegt nicht nur der unverdiente Preis und der schändliche Applaus auf seine Rede, sondern auch was Carsten Otte, Kulturmoderator des SWF über ihn und die Buchmesse schreibt: Die Buchautoren, die im militärischen Tarnanzug auf die Buchmesse gekommen waren, seien „ein ungewohnter, aber erhellender Anblick“ gewesen.


Quelle: pressenza
foto: Karl Schlögel erhält den den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2025. (Videobildschirmaufnahme)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.
Sie müssen den Bedingungen zustimmen, um fortzufahren.

Abgeordnetenwatch
Presseagentur Alternativ

Reklame