Ein Einwurf von der Seite
von Michael Mentzel/tdz
Es dürfte kein Geheimnis sein, dass unsere Redaktion den Aufrüstungsbestrebungen der gegenwärtigen Regierung wie auch der Grünen-Fraktion im Bundestag nicht nur skeptisch gegenübersteht, sondern diese Bestrebungen dezidiert ablehnt. Der Schreiber dieser Zeilen hat 1967/1968 seinen Wehrdienst abgeleistet, er hat, wie es sich damals gehörte, 1969 CDU gewählt (kein Witz, nur ein bisschen Ironie) , war von 1978 bis 1983 Mitglied der FDP und hat 1984 den Kriegsdienst mit der Waffe (aus Gründen) verweigert.
Er ist also niemand, der beim Marsch durch die Institutionen mitmarschiert ist, sondern jemand, der die Institutionen aus nächster Nähe, nämlich im Bonner Regierungsviertel als Mitarbeiter einer Rundfunkanstalt hautnah miterlebt hat. Die Journalisten, die er in dieser Zeit kennen und schätzen gelernt hat, haben – bis auf wenige Ausnahmen – nach seiner Auffassung ihren Beruf und ihren "Auftrag" als Wächter der Meinungsfreiheit und Beobachter der Mächtigen der damaligen Bundesrepublik ernster genommen, als dies heute zu beobachten ist. Nach seiner Wahrnehmung galt dies durchaus auch für manche konservative Journalisten.
Es war die Zeit, in der die Grünen die parlamentarische Bühne betraten, die Friedensbewegung in Demonstrationen z. B. im Bonner Hofgarten Präsenz zeigte und Pazifismus noch kein Schimpfwort war wie heute, wenn der Pazifismus auch damals nicht gerade zur deutschen DNA gehörte, wie unlängst Frau Miosga im Gespräch mit einem Gast namens Joschka Fischer bemerkte.
1989
Nach dem Fall der Berliner Mauer und dem vielzitierten "Ende der Geschichte" schienen alle Dämme zu brechen und Hoffnung breitete sich aus in beiden deutschen Ländern. Die Wiedervereinigung wurde vollzogen, 1998 wurde der Kanzler Helmut Kohl abgewählt und alle Zeichen standen auf Neuanfang. Der Umzug der Regierung nach Berlin vollzog sich mehr oder weniger geräuschlos und damit war die Zeit der so genannten "Bonner Republik" zu Ende. Rot-Grün war angesagt, aber dem Frieden war leider nur noch eine kurze Dauer beschieden, denn "am 24. März 1999 beginnt die Nato mit Luftschlägen gegen militärische Ziele in Jugoslawien. Deutschland ist mit 14 Tornadoflugzeugen beteiligt." [1]
Völkerrecht? Was war das noch gleich?
Dass dieser Krieg völkerrechtswidrig war, störte seinerzeit "keinen großen Geist". [2] Außenminister Fischer und der damalige Verteidigungsminister Scharping sind längst Geschichte und allenfalls noch brauchbar als Gäste in Talkshows, wo sie dann staatstragend ihre damaligen Fehltritte lieber verschweigen. Alt-Kanzler Gerhard Schröder wird von den Medien inzwischen als ein von Putin bezahlter Russland-Versteher denunziert. Die Welt ist also aus Sicht vieler Konservativer wieder in Ordnung und "der Russe" wird offensichtlich in jene Zeit zurückverortet, wo er 1941 schon einmal war und als Feind aller Deutschen herhalten musste. Dass, was im Zuge dieser damaligen Russlandfeindschaft ca. 27 Millionen Russen das Leben kostete, stört heute – noch einmal nach Karlsson vom Dach – "keinen großen Geist" mehr. Es wird aufgerüstet, was das Zeug hält bzw. was das Sondervermögen hergibt. Und wenn das nicht reicht, wird sicher nachgelegt. Schließlich könnte Putin, wenn wir den Medien, dem BND, dem MAD, dem BfV und all den Damen und Herren aus den oberen Etagen glauben, schon 2029 vor Berlin stehen. Oder so ähnlich. Übrigens, damit kein Irrtum aufkommt: Auch der russische Krieg gegen die Ukraine ist völkerrechtswidrig.
Schöne Aussichten
Bis 2029 müssen wir also kriegstüchtig sein, genug Schwarzbrot oder Knäckebrot, Klopapier und Wasser gebunkert haben und uns ansonsten möglichst ruhig verhalten, denn meine Befürchtung ist, dass wir andernfalls Putins Überfall nicht in der Tagesschau verfolgen, sondern uns das Debakel aus einer Gefängniszelle anschauen könnten, falls die Zellenfenster zur Straße hinausgehen.
Aber mal ganz im Ernst, ich glaube nicht daran, weil ich ein unverbesserlicher Optimist bin und denke, dass es bis dahin gelingt, einen Bundestag zu haben, dessen Mitglieder sich von Vernunft leiten lassen und dem Thema Diplomatie einmal etwas mehr Priorität einräumen.
Es könnte doch sein, so meine Hoffnung, dass die Abgeordneten noch einmal das Protokoll der ersten Sitzung des ersten Deutschen Bundestages von 1949 lesen und vielleicht geht ihnen dabei ein Licht auf, warum es in Deutschland wenigstens bis zum Jahre 1999 relativ friedlich zuging. Wie sagte es der damalige Bundestagspräsident Dr. Erich Köhler am 7. September 1949:
"Eine der edelsten Zielsetzungen, die uns wohl hier in diesem Hause über die Verschiedenheit der politischen Anschauungen hinweg verbinden, ist doch die, daß die Menschenwürde sich wieder in jedem Deutschen uneingeschränkt und nach jeder Richtung hin entfalten kann. Die Verwirklichung von Recht unid Gerechtigkeit soll und muß das oberste Gesetz unseres gesetzgeberischen Handelns in Zukunft sein. Geistige und politische Freiheit des Menschen, Freiheit des Glaubens, des Gewissens und der Überzeugung sind die edelsten Güter einer wahrhaften Demokratie. Sie zu sichern und ihre Verwirklichung auf allen staatlichen Gebieten und auf allen privaten Gebieten des Lebens herbeizuführen, wird eine unserer wichtigsten Aufgaben sein. (…) Ich glaube zu dem folgenden Bekenntnis berechtigt zu sein: Wir bekennen uns in dieser historischen Stunde nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit der Leidenschaft unseres Her- zens zu einer solchen Neuordnung Europas und der Welt. Dem Frieden zu dienen, das ist wahrhaft die tiefste Sehnsucht unseres Volkes. Ich glaube am Beginn 'unserer Arbeit aussprechen zu dürfen: wir sind von der Hoffnung erfüllt, daß ein neues Deutschland des Rechtes und der Gerechtigkeit, daß die Bundesrepublik Deutschland aus diesem Glauben, daß wir dem Frieden dienen wollen, aus einer Neuordnung Europas und der Welt, aus dem Glauben an diese Wandlung immer ihre Kraft für eine glücklichere Entwicklung der Zukunft schöpfen wird.".
Unsere Sicherheit
Wer nun glaubt, dass wir unseren Frieden der Nato zu verdanken haben oder dem "Schutzschirm" der USA, glaubt wahrscheinlich auch, dass die Bundeswehr unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt hat. [3] Inzwischen allerdings hat sich die "Verteidigung unserer Sicherheit" in die Ukraine verlagert und weil niemand ernsthaft einen 3. Weltkrieg riskieren möchte, beschränken wir uns darauf, der Ukraine Waffen und Munition zu liefern, damit sie – frei nach einem deutschen Bundeskanzler – für uns die Drecksarbeit macht. Denn "Russland wird immer ein Feind für uns bleiben, wie immer auch der Krieg in der Ukraine enden möge", war von unserem Außenminister Johannes Wadephul (CDU) zu vernehmen und so wie er denkt offensichtlich die Mehrheit der Abgeordneten der aktuellen deutschen Bundestages. [4] Mit Ausnahme der AFD und vielleicht sogar eines Teils der Linken und der SPD, muss man der Fairness halber wohl hinzufügen.
Die Hoffnung lebt.
Da bleibt vielleicht nur die Hoffnung – und das ist nicht nur meine – dass es dem BSW gelingen möge, mittels einer Neuauszählung der Wählerstimmen doch noch die 5%-Hürde zu überspringen. Die Zeichen dafür scheinen derzeit gar nicht so schlecht zu stehen, denn immer mehr ernstzunehmende Wortmeldungen geben Anlass zu eben dieser Hoffnung. Aktuell leitartikelt sogar der Spiegel: "BSW-Chefin Sahra Wagenknecht wirft Friedrich Merz vor, eine Neuauszählung der Bundestagswahl zu blockieren, aus Sorge, seine Kanzlerschaft zu verlieren. So haltlos das klingt: Die Stimmen sollten überprüft werden". (der Artikel leider hinter der Bezahlschranke, Hervorhebung von red.-tdz)
Und auch "die Zeit" kommt nicht daran vorbei und schreibt: "Auch zwei Politikwissenschaftler stellten sich vor ein paar Wochen in einem Gastbeitrag für die FAZ an Wagenknechts Seite. 'Eine bundesweite Neuauszählung ist angesichts des knappen Ausgangs und vieler Ungereimtheiten nicht nur sinnvoll, sondern auch dringend geboten', schreiben sie". [5]
Werden wir am Ende dann doch noch erleben, dass es zu einer Neuauszählung kommt und sich dadurch plötzlich alles verändert? Die Frage ist berechtigt und birgt für die Zusammensetzung des aktuellen Bundestages einigen Sprengstoff. Also alles auf Anfang, Herr Merz?
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[1] https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/546700/1999-beginn-des-nato-einsatzes-im-kosovo/[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Karlsson_vom_dach
[3] Peter Struck, ehemaliger Verteidigungsminister am 4. Dezember 2002: "Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt."
[4] https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/geopolitik/kuenftiger-aussenminister-wadephul-russland-wird-immer-ein-feind-fuer-uns-bleiben-li.2320148
[5] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2025-10/bsw-neuauszaehlung-bundestagswahl-wahlpruefungsausschuss-5vor8