von Immo Lünzer
"Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung"
In einem aktuellen Grundsatzpapier vom 11.6.2025, das als "Manifest" bezeichnet wird, fordern prominente SPD-Mitglieder eine Abkehr von der derzeitigen Aufrüstungspolitik der Bundesregierung.
Sie rufen zu einer zeitnahen Kehrtwende in der Außen- und Sicherheitspolitik auf.
Das Papier entstand im Rahmen des friedenspolitischen Erhard-Eppler-Kreises in der SPD.
Es wurde von einhundert Sozialdemokraten unterschrieben, darunter der frühere Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich, der Außenpolitiker Ralf Stegner, Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans und Ernst Ulrich von Weizsäcker, sowie weitere Bundestagsabgeordnete, Mandatsträger und der ehemalige Bundesfinanzminister Hans Eichel sowie weitere Prominenz der SPD.
"Frieden ist nicht alles,
aber alles ist ohne Frieden nichts."
Willy Brandt
Relativ schnell führte dieses "Manifest", das offensichtlich der Linie der Bundesregierung mit Kanzler Merz (CDU) entgegen steht, zu einer heftiger Kontroverse. Dabei beschreibt es lediglich das, was man – zumindest früher – unter sozialdemokratischer Politik verstanden hat. Die SPD-Politiker werfen der Regierung "militärische Alarmrhetorik und riesige Aufrüstungsprogramme" vor. Dies würde eine „wechselseitige Bedrohungswahrnehmung zwischen Nato und Russland" verstärken.
Als zentrale Elemente einer neuen, zukunftsfähigen Friedens- und Sicherheitspolitik werden genannt:
Das Ziel ist eine „möglichst schnelle Beendigung des Tötens und Sterbens in der Ukraine. (…) Die Unterstützung der Ukraine in ihren völkerrechtlichen Ansprüchen muss verknüpft werden mit den berechtigten Interessen aller in Europa an Sicherheit und Stabilität."
- Gespräche mit Russland
Ziel sei es, auf dieser Grundlage – nach einem Waffenstillstand – wieder diplomatische Gesprächskanäle mit Russland zu öffnen: „… nach dem Schweigen der Waffen wieder ins Gespräch mit Russland zu kommen, auch über eine von allen getragene und von allen respektierte Friedens- und Sicherheitsordnung für Europa." - Sicherheit nicht mit Aufrüstung verwechseln.
„Europäische Sicherheitspolitik darf sich nicht am Prinzip der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung, sondern muss sich an einer wirksamen Verteidigungsfähigkeit orientieren. Wir brauchen eine defensive Ausstattung der Streitkräfte, die schützt ohne zusätzliche Sicherheitsrisiken zu schaffen." - Kritik an geplanten Milliarden für den Verteidigungshaushalt
Die in Deutschland diskutierten Zielmarken von 3,5 oder gar 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben stoßen auf Widerstand. Im Papier heißt es, dafür gebe "es keine sicherheitspolitische Begründung", vielmehr sei dies "irrational (…) Statt immer mehr Geld für Rüstung brauchen wir dringend mehr finanzielle Mittel für Investitionen in Armutsbekämpfung, für Klimaschutz und gegen die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, von denen in allen Ländern Menschen mit geringen Einkommen überdurchschnittlich betroffen sind.“ - Nein zu weitreichenden US-Raketen in Deutschland
Eine Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen wird abgelehnt – mit der klaren Warnung: "Die Stationierung von weitreichenden, hyperschnellen US-Raketen-Systemen in Deutschland würde unser Land zum Angriffsziel der ersten Stunde machen." - Nukleare Abrüstung
"Bei der Überprüfungskonferenz im Jahr 2026 zum Atomwaffensperrvertrag gilt es, die Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung nach Art. 6 zu erneuern und mit verbindlichen
Fortschrittsberichten sowie völkerrechtlichen “No First Use”-Erklärungen zu stärken.“ - Abrüstung statt Fernost-Einsatz
In dem Papier wird auch betont: Deutschland und Europa sollten sich nicht an militärischer Eskalation in Süd-Ost-Asien beteiligen. Stattdessen brauche es "eine schrittweise Rückkehr zur Entspannung der Beziehungen und einer Zusammenarbeit mit Russland, sowie die Berücksichtigung der Bedürfnisse des Globalen Südens insbesondere auch zur Bekämpfung der gemeinsamen Bedrohung durch die Klimaveränderungen."
Die SPD muss Teil der Friedensbewegung bleiben
Der Außenpolitiker Ralf Stegner sagte dem "Stern" als Begründung für das "Manifest", dass die Gruppe damit die parteiinterne Debatte neu ausrichten wolle. "Die SPD muss Teil der Friedensbewegung bleiben. Im Moment wird ungehemmt über den nächsten Landkrieg und über die Wehrpflicht gesprochen. Gegen diese Form der Militarisierung müssen wir uns als Sozialdemokraten wehren", sagte er.
Die Haltung der SPD im Ukrainekrieg, vorwiegend in Bezug auf Waffenlieferungen, war in den vergangenen Jahren wiederholt ein umstrittenes Thema. Ende Juni steht der Bundesparteitag der Sozialdemokraten an. Das Papier ist explizit als Debattenbeitrag – auch für den Bundesparteitag der SPD Ende Juni – zu verstehen.
Dieses Manifest ist gewissermaßen ein friedenspolitischer Frontalangriff auf die Linie der schwarz-roten Koalition: Prominente SPD-Politikerinnen und -Politiker fordern eine Kehrtwende in der Außen- und Verteidigungspolitik.
Gleichzeitig ist es durch den Israel-Irankrieg noch aktueller geworden.
Bei einer Veranstaltung am 17.6.25 in Wiesbaden betonte Stegner: "Es geht allerdings überhaupt nicht um taktische Fragen, sondern um eine verantwortungsvolle Politik, die der Ukraine bei ihrer Verteidigung gegen den völkerrechtswidrigen russischen Angriffsweg beisteht und zugleich alles – aber auch wirklich alles unternimmt, um das menschliche Leid und die humanitären Katastrophen in der Ukraine, in Gaza und Israel, im Sudan und anderswo so schnell wie möglich zu beenden."
Kurz: Nicht um Kriegstüchtigkeit in der Welt geht es – gerade für uns Deutsche – sondern um Friedensfähigkeit!
Link zum lesenswerten Manifest
Link zur Unterstützung:
https://www.openpetition.de/petition/online/unterstutzung-des-manifests-der-spd-friedenskreise